Deutschland hat gewählt. So mancher Abgeordneter und so manche Partei ist im neuen Parlament nicht mehr vertreten. Dem Datenschutz geht es auch so.
Die Endphase des Wahlkampfs fiel zeitlich zusammen mit der Diskussion um die geheimdienstliche Ausspähung des Internets, Stichworte PRISM und Tempora. Man sollte meinen, ein derart konzertierter Angriff auf die bürgerlichen Freiheiten müsste einen Aufschrei in der Gesellschaft auslösen. Angesichts der „ins Lächerliche tendierenden Hilflosigkeit, mit der die Bundesregierung den Totalangriff auf unsere Recht zur informationellen Selbstbestimmung hinnimmt“ (Harry Nutt im Kölner Stadtanzeiger), sollten wütende Reaktionen der Stimmbürger die Folge sein. Sollten, aber „offenbar fürchten die Deutschen den Veggie-Day in der Firmenkantine mehr als die Totalüberwachung des Internets“. Und mit dieser Einstellung haben die Bürger ihr Kreuzchen auf dem Wahlzettel gemacht.
Die konservative Sieger-Partei hat die Gelegenheit genutzt, den PRISM-Skandal per Dekret für beendet zu erklären. Für die Kanzlerin, die Bestimmerin der Richtlinien der Politik, ist nach eigenem Bekenntnis sowieso das ganze Internet Neuland, was die Erwartungen an ihre Rolle in Sachen Datenschutz ziemlich begrenzt. Im Wahlprogramm ihrer Partei kommt der Datenschutz eigentlich vergleichsweise prominent vor, aber Regierungsparteien werden zurecht mehr an dem gemessen, was sie aktuell tun, denn an dem, was sie verkünden, dass sie vielleicht in Zukunft tun wollen. Zum Beispiel daran, dass sich die Kanzlerin wenige Tage, nachdem die Öffentlichkeit erfahren hat, dass ihr persönliches Handy wohl seit vielen Jahren abgehört wird, persönlich dafür einsetzt, dass die neue EU-Datenschutzrichtlinie erst mal ausgebremst wird. Es ist wohl auch eine typisch konservative Haltung, die Interessen des väterlichen Staates den individuellen Rechten aufmüpfiger Bürger voranzustellen. Da ist dann Sicherheit im Zweifel wichtiger als Meinungsfreiheit, und bei entsprechender Phantasie kann so ziemlich alles zu einer Frage der nationalen Sicherheit erklärt werden, und wenn sich etwas denn doch mal nicht so begründen lässt, dient es sicher der Wirtschaft und damit den Arbeitsplätzen.
Im Vokabular der übrigen Parteien, die im neuen Parlament vertreten sein werden und nach klassischer Bewertung mehr oder weniger links stehen, kommt die moderne Informationsgesellschaft nur nachgeordnet vor. Für sie ist die „soziale Gerechtigkeit“ das, was für die Konservativen die Sicherheit ist: der Altar, auf dem im Zweifel alle andere Ziele geopfert werden. Gerechtigkeit und Sicherheit sind auch insofern wesensverwandte Begriffe, bei denen eigentlich keiner so genau weiß, was das ist, aber alle finden es gut. Eine ideale Situation für Politiker: Großes versprechen, ohne sich festlegen zu müssen. Laut Wahlprogramm der zweitgrößten Partei ist Datenschutz ein Element der „Kultur-, Medien- und Netzpolitik“. Dort heißt es: „Wir brauchen die Stärkung der Bürgerrechte durch wirksamen Datenschutz.“ Das war’s. In 120 Seiten Text.
Auch die außerparlamentarischen Alternativen sind überschaubar. Die liberale Partei, früher der erste Anwalt bürgerlicher Freiheit, ist in die Bedeutungslosigkeit abgewählt worden. Für den Datenschutz ist das verschmerzbar, denn besagte Partei hat dieses Schicksal wohl erlitten, weil sie zuletzt für gar nichts mehr stand. Dann gibt es noch eine richtige Internetpartei, in manches Länderparlament gewählt, gerade weil sie für die Offenheit der Informationsgesellschaft einzutreten vorgibt. Sie zieht es momentan vor, in organisatorischem Chaos zu versinken, anstatt Politik zu machen. Das Politikangebot der Bauernfänger an den Rändern des Parteienspektrums ist ohnehin auf Themen konzentriert, die mehr die Emotionen ansprechen als den Verstand.
Das ist der Stand der Dinge, weil der Souverän es so will. Dass Frieden, Freiheit und Wohlstand nicht vom Himmel fallen, hat sich irgendwie nicht allgemein herumgesprochen in einer Gesellschaft, die es mehrheitlich aus eigener Erfahrung nicht anders kennt bzw., falls doch, es in den zwanzig Jahren seit dem Fall der Mauer aktiv vergessen hat. Zu wenige Menschen begreifen, dass Datenschutz nicht ein Thema abgedrehter Technik-Freaks und hornbrillenbewehrter Bitverbieger ist. Es ist eine Front, an der die Prinzipien unserer Verfassung verteidigt werden, die Grundwerte einer freiheitlichen Gesellschaft. Das Millionenheer derer, die sich täglich informationsmäßig in der Öffentlichkeit entblößen, in Social Media und Reality Soaps zum Beispiel, versteht vielleicht gar nicht, dass eine vielfältige, tolerante und offene Gesellschaft auf Dauer undenkbar ist, wenn die informationelle Selbstbestimmung nicht geschützt wird.
So scheint es, dass es auch weiterhin zuerst die Aufgabe von einigen unverbesserlichen Optimisten bleiben wird, sich um den Datenschutz zu kümmern. Manchmal komme ich mir in diesem Job ziemlich einsam vor.
Es ist erschreckend, was die facebook – Nutzer interessiert und was nicht! Innerhalb weniger Wochen habe ich begriffen, dass die Möglichkeit, wenigstens ein paar Leute ernsthaft mit alltäglichen Problemen zu erreichen, im gesteuerten Schwachsinn untergeht. „Spielleiter“ schießen Dauerfeuer auf jede ernst gemeinte Zuschrift und schieben den soeben eingestellten Beitrag weit nach hinten, so dass möglichst niemand dazu Stellung nehmen kann. Gefundene Übereinstimmungen mit anderen Nutzern werden blockiert, indem man einfach gewohnte Kästchen für Kommentare schließt.
Ich stelle fest, dass sich nur sehr wenige Bürger trauen, ihre Meinung zu äußern. Angucken ja, Stellung nehmen nein.
Als Polizeibeamter und Lehrer habe ich seit 1956 den Niedergang der Grundrechte und die komplette Aushöhlung des GG mit verfolgt.
Ich kann nur sagen: Gute Nacht Freiheit!
Lothar Pigorsch