Die Krankheiten der Überwacher

Helmut Schmidt beschrieb einst seine negative Meinung über Geheimdienste mit den Worten: “Das sind arme Schweine. Die leiden unter zwei psychischen Krankheiten: Die eine Krankheit beruht darauf, dass sie für das, was sie tatsächlich leisten, niemals öffentliche Anerkennung bekommen. Es ist unvermeidlich so, sie müssen ja im Verborgenen arbeiten. Das deformiert die Seele. Die andere Krankheit beruht darauf, dass sie tendenziell dazu neigen, zu glauben, sie verstünden die nationalen Interessen des eigenen Landes viel besser als die eigene Regierung. Diese letztere Krankheit ist der Grund dafür, dass ich ihnen nicht traue. Wenn man die Presseberichte über den “Landesverrat” von netzpolitik.org verfolgt hat, dürfte der Terminus Krankheiten sicherlich das richtige Wort für eine Organisation sein, von der man meinen könnte, dass sie sich selbst als etwas sieht, das über den verfassungsmäßigen Grundsätzen eines demokratischen Staates steht.

Der Verfassungsschutz bastelt im Geheimen an einem Ausbau der Überwachung von Onlinediensten, mutmaßlich wohlwissend, dass an einer demokratischen Legitimierung dieses Treibens durchweg Zweifel aufkommen dürften, und diejenigen, die darüber berichten, werden von genau der Organisation, deren Regeltreue man als zweifelhaft beschreiben könnte, wegen Landesverrats angezeigt. … und nicht nur die Betreiber von netzpolitik.org. Behördenchef Maaßen hat auch Anzeige gegen Beamte des Verfassungsschutzes selbst und Bundestagsabgeordnete sowie deren Mitarbeiter erstattet. … man ärgert sich halt über undichte Stellen.

Sieh an, sieh an. Außenstehende betrachten es sicherlich als menschlich, dass sich Bundestagsabgeordnete Muttis Vorgaben fügen, wenn sie in der nächsten Legislaturperiode ihren Listenplatz behalten wollen und deshalb trotz besseren (Ge)Wissens Entscheidungen der Kanzlerin Folge leisten. Es scheint jedoch ein paar Widerborste zu geben, die zwar nicht das Rückgrat haben, öffentlich als Parlamentarier zu ihrem Dienst am Volke zu stehen, aber dennoch zur Wahrung ihres Gewissens quasi als Alibi nonkonforme Berichterstatter mit Informationen versorgen. Naja, besser so, als gar nicht. Und der Generalbundesanwalt ermittelt…

Chefschnüffler Hans-Georg Maaßen hat noch am 13.05.15 bei n-tv erklärt, dass der Verfassungschutz keine Erkenntnisse hätte, westliche Geheimdienste würden in Deutschland Industriespionage betreiben und bei den Überwachungen von NSA, BND, GCHQ und Co. hat der, der jetzt seinen Hut nehmen durfte, noch nicht einmal einen Anfangsverdacht für Ermittlungen gesehen. Aber die Leute, die über weitere Einschränkungen der Grundrechte berichten, bekommen die Instrumente des Strafrechts zu spüren? Den GBA hat es den Kopf gekostet, gut so. Aber der Verfassungsschutz ist immer noch unberührt…

Im Mittelalter hat man dem Überbringer schlechter Nachrichten den Kopf abgeschlagen und ein Gleiches passiert heute immer noch in totalitären Staaten und Diktaturen. Die BRD ist aber eine Demokratie, in der die Tätigkeiten der Geheimdienste parlamentarisch legitimiert werden müssen.
Lassen wir einmal die Geheimdienstkontrolle außen vor. Es wird seine Gründe haben, dass dem ehemaligen Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung, Chef des Bundeskanzleramtes und Lusche… ähh, Jasager vom Dienst Ronald Pofalla der Auszug aus der Politik mit einem Spitzenposten bei der Deutschen Bahn belohnt wurde. Und das, wo Pofallas Kenntnisse der Bahn sich allenfalls auf den Kartenautomaten der Regionalbahn in Weeze beschränken dürften. Nein, mit Pofalla hat das nur rudimentär zu tun.

Die Geheimdienste der Bundesrepublik Deutschland haben immer schon ihre eigene Geschichte geschrieben. Insbesondere der Verfassungsschutz hat sich in seiner Vergangenheit nicht mit Ruhm bekleckert, angefangen mit der Rolle des V-Manns im Umfeld der Baader-Meinhof-Bande, Peter Urbach. Aktuell ist es der NSU-Prozess, der ein schlechtes Licht auf die Schlapphüte wirft. Und in der Causa netzpolitik.org stellt niemand die Frage nach dem Tun der Verfassungsschützer und auch der Rausschmiss des GBA Runge wird hieran nichts ändern. Mit Runge wird ein Bauer ein halbes Jahr vor seiner regulären Pensionierung geopfert, was ihm selbst keinen Schaden zufügen wird. Als Beamter bekommt er weiterhin seine Bezüge und geht dann in den wohlverdienten Ruhestand. Und die politisch Verantwortlichen? Machen sich dünne, wenn es dicke kommt. Business as usual. Mutti spricht ihrem Justizminister Maaß volle Unterstützung zu, Innenminister de Mazier wusste wieder mal von nichts und Oberschlapphut von Maaßen sieht allein im nun entlassenen GBA Runge die Schuld an der Misere. Aber die Ermittlungen gegen netzpolitik.org liefen erst einmal weiter und wurden dann nach “Recht und Gesetz” mit einer Einstellung der Ermittlungen entschieden. Es sei hier nur am Rande bemerkt, dass die staatliche Überwachung von netzpolitik.org womöglich auch mit einer Berichterstattung wie dieser zu tun hat. Wer Anleitungen zum Hacken veröffentlicht, muss sich nicht wundern, wenn damit Aufmerksamkeit bei Behörden erregt wird. Könnte ja sein, dass sich mit dieser Veröffentlichung jemand die Fähigkeiten zueignet, Informationen auszugraben, die als geheim eingestuft sind… Und schon gilt man als Verdächtiger.

Aber, liebe Leser, man braucht nicht wirklich Hackeranleitungen ins Netz stellen. Verdächtig ist heute grundsätzlich jedermann. Einfach nur, weil die technischen Möglichkeiten dazu gegeben sind und der brave Bürger seinen eigenen Teil dazu beiträgt, gläsern zu sein. Banken, Kreditkartenbetreibergesellschaften, Wirtschaftsauskunfteien, Versicherungen, Reisedienstleister, Einzelhändler und viele andere sind heutzutage verantwortliche Lieferanten von Daten, die von den Schlapphüten genutzt werden, um Persönlichkeitsprofile von Jedermann zu erstellen. Alles mit der Begründung von Sicherheit und Terrorbekämpfung. Das Volk akzeptiert diese Sprüche, setzt sich mit Pizzakarton und Dosenbier vor den Fernseher: “Mir geht es doch gut!” und unterstützt gewollt oder ungewollt die Parole der Mächtigen: “Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten”. Das hat es 33-45 aber auch schon geheißen. Mit dem Unterschied, dass es heute durch Technologie wesentlich einfacher ist, kritische Gesinnungen und andere Denkarten zu analysieren. Whatsapp und Facebook liefern den Rest und es mag ja sein, dass es Leute gibt, die darüber lächeln, das jemandem die Einreise in die USA verwehrt wird, weil die Selbstauskunft im Visumsantrag nicht mit den Social Network-Daten des Betreffenden übereinstimmt.

Aber es gibt eine einfache Lösung und die heißt: Konformität. Wer all seine kleinen Geheimnisse öffentlich macht, seine politische Gesinnung am Mainstream orientiert und auch sonst alles tut, dass die Mächtigen in ihm oder ihr keine potentielle Gefährdung der eigenen Macht sehen, ist sicherlich auf dem richtigen Weg. Aber Vorsicht. Das System könnte sich irgendwann einmal ändern. Wer dann wegen seiner digitalen Seele auf der falschen Seite steht, wird die Offenheit seiner Vergangenheit bereuen. Und dann? Es soll ja Dissidenten geben, die kein schlechtes Leben führen. Aber mal die Ironie beiseite gelassen.

Eine Demokratie lebt von Vielfalt, Gegensätzen und Offenheit. Wenn alles gleichgeschaltet ist und Minderheiten sowie Andersdenkende als potentielle Bedrohung gelten, die man überwachen muss, ist der Weg in ein totalitäres System nicht mehr weit. Und deshalb ist es manchmal durchaus von Vorteil, Geheimnisse zu haben. Helmut Schmidt wusste das und hat den Nazis seine jüdischen Vorfahren verschwiegen. Seine Geschichte dürfte anders verlaufen sein, wäre das zu NS-Zeiten bekannt gewesen. Was ein Glück für ihn und auch für diese Nation, dass es digitale Seelen, die von Schlapphüten analysiert werden können, damals noch nicht gab…