Der 52. Bundesstaat

Eines meiner Lieblingszitate ist von Charles Bukowski.  „How the hell could a person enjoy being awakened at 6:30 am by an alarm clock, leap out of bed, dress, force-feed, shit, piss, brush teeth and hair, and fight traffic to get to a place where essentially you made lots of money for somebody else and were asked to be grateful for the opportunity to do so.“
Es ist eine Systemkritik. Nichts anderes. Nicht jeder hat die Möglichkeit zu Hause seine Brötchen zu verdienen, auf eigene Rechnung zu arbeiten und das zu tun, was man möchte. Den meisten Menschen ist es deshalb verwehrt in einem Haus am Strand zu leben und den Tag mit einem Aufwachen ohne Wecker zu beginnen. Aber das ist es nicht, was Bukowski sagen möchte. Es geht darum, sich darüber im Klaren zu sein, inwieweit man von anderen beherrscht wird, ferngesteuert ist und Dinge tun muss, die man eigentlich gar nicht will. Und es geht auch darum, Dinge zu verändern, die nicht richtig sind, wenn man die Möglichkeit dazu hat.

Ich musste aufgrund eines Artikels im Spiegel über dieses Zitat nachdenken. NSA-Boss Keith Alexander lässt uns wissen, dass die Amerikaner die deutschen Schnüffel-Kollegen beim  BND als „Schlüsselpartner“ sehen. Der BND hätte „daran gearbeitet, die deutsche Regierung so zu beeinflussen, dass die Datenschutzgesetze auf lange Sicht laxer ausgelegt werden, um größere Möglichkeiten für den Austausch von Geheimdienst-Informationen zu schaffen“. Im Lauf des Jahres 2012 habe der Partner BND  sogar „Risiken in Kauf genommen, um US-Informationsbedürfnisse zu befriedigen“ und sei „in Afghanistan in Sachen Informationsbeschaffung sogar fleißigster Partner“.

Soll das heißen, dass der Bundesnachrichtendienst aktiv beteiligt ist an Informationsbeschaffung, die z.B. benötigt wird zur Tötung von verdächtigen Terroristen mittels Drohnen? Keith Alexander sagt, es sei „eine Ehre und ein Privileg, mit den deutschen Diensten zusammenzuarbeiten und Terroranschläge zu verhindern“ und was „sie in Afghanistan leisten, sei großartig.“ Merkel klang ähnlich euphorisch, als sie sagte, sie freue sich, dass es gelungen sei, bin Laden zu töten.
Aber der Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung, Ronald Pofalla, und die Bundeskanzlerin, beide verantwortlich für die Einsätze des BND, wussten angeblich nichts davon, dass der BND mit der NSA kooperiert?
Angela Merkel hat auf ihren Kommentar zur Liquidierung Osama bin Ladens ihre verdiente Kritik bekommen, und eines dürfte durch diese Aussage deutlich geworden sein. Sie billigt die Tötung von Menschen. Mit dem Grundgesetz, der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, wurde die Todesstrafe aber abgeschafft. Damit entsteht schon ein Widerspruch zum Amtseid, den die Bundeskanzlerin abgelegt hat.
Sie hat geschworen, ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen, ihre Pflichten gewissenhaft zu erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben. So wahr ihr Gott helfe.
Das Grundgesetz zu verteidigen… Sich zu freuen, dass jemand hingerichtet wurde, ist etwas anderes. In den USA zulässig, aber nicht in der BRD. Was aber, rein hypothetisch, wenn der BND an den Aktionen der Amerikaner in Afghanistan dergestalt beteiligt ist, dass Tötungsaktionen erst durch die Unterstützung des BND möglich werden? Das Strafgesetzbuch würde so etwas Beihilfe nennen.

Wir wissen alle, dass der Besatzungsstatus nach dem 2. Weltkrieg den USA die Möglichkeit eingeräumt hat, sich in Deutschland als Kriegsgewinner Freiheiten zu nehmen, die in einem souveränen Staat ausgeschlossen sind. Der die Wiedervereinigung begründende 2+4-Vertrag hat hiermit Schluss gemacht und Deutschland Souveränität zugesichert. Die heutige Zusammenarbeit mit den befreundeten USA basiert auf UN-, NATO- und EU-Verträgen, in denen durchweg hervorgehoben ist, dass die Rechtsstaatlichkeit der BRD im Rahmen der Zusammenarbeit zu wahren ist. Kriegseinsätze der Bundeswehr sind insofern nicht mit denen der US-Streitkräfte gleichzusetzen. Gilt das nicht für den BND?

NSA und BND sind beides Auslandsgeheimdienste, denen Schnüffeln im eigenen Land untersagt ist. Der Patriot Act hat zwar den diesbezüglichen Status der US-Geheimdienste geändert, was durch die Veröffentlichungen der letzten Wochen in den USA auch kritisiert wird. Die andere Seite des großen Teichs ist auf den ersten Blick aber kein Problem der verfassungsmäßigen Ordnung in Deutschland. Alexander Keiths Aussage, der BND hätte „Risiken in Kauf genommen, um US-Informationsbedürfnisse zu befriedigen“ stimmt dann aber nachdenklich. Sind hier verfassungsmäßige Grenzen überschritten worden?
Ein schlapphütlicher pragmatischer Ansatz wäre der, dass man sagt, wenn ein Geheimdienst nur im Ausland spionieren darf, dann muss man sich ja nur eines befreundeten Auslandsgeheimdienstes bedienen. Die einen spionieren jeweils im Land des anderen und die Ergebnisse kann man – dank der Cloud–Technologie – wunderbar teilen. Das nennt man dann „Befriedigung von Informationsbedürfnissen“.

Ist es das, warum Angela Merkel sich bedeckt hält, wenn es um Maßnahmen zum Schutz der Bürgerrechte in Deutschland geht? Weiß sie um die Zusammenarbeit der Dienste und damit auch deren Verfassungswidrigkeit?  Oder gibt es andere Verflechtungen, die Merkel gegenüber der größten ehemaligen Besatzungsmacht verpflichtet? Das geht jetzt natürlich in den Bereich der Spekulation und kann damit als abwegig beschrieben werden.
Aber nur mal ein bisschen weiter gedacht. Altkanzler Schröder hat mal gesagt, er sei überrascht gewesen, wie wenig Handlungsspielraum er als Kanzler hatte. Zu den Zeiten, als er mit den Worten „Ich will hier rein“ am Zaun den Bundeskanzleramtes in Bonn gerüttelt hat, hätte er ganz andere Vorstellungen vom Zentrum der Macht gehabt. Was er genau damit meinte ließ er offen. Er hat „Nein“ zum Bush-Krieg gesagt, was ihm einen verschnupften Texaner und Sympathien zur Wiederwahl bescherte. Aber der BND mischt „fleißig“ mit, wenn es darum geht, in Afghanistan den „Informationsbedürfnissen“ der USA Rechnung zu tragen, um Leute umzubringen? Hat Schröder auch nichts vom BND gewusst? Oder hat er das Wahlvolk belogen?

Ich habe neulich einen US-Bürger kennen gelernt, der in Deutschland lebt und arbeitet. Ja, wirklich. Nicht jemand aus dem Teil der amerikanischen Gesellschaft, dem der NSA-Spion-Schutzbund e.V. im Rahmen von naturkundlichen Wanderung nachstellt und hierbei hofft, zumindest eines der lichtscheuen Elemente dabei beobachten zu können, wie es aus einem Erdloch krabbelt. Nein, ich meine einen richtigen Amerikaner, einen, der nicht zu den Besatzungstruppen gehört. Soll es ja geben, wie ich gehört habe… ;-). Nach 16 Jahren hat dieser die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen und lebt in Köln. Ich kann verstehen, dass Leute mit Intelligenz es vorziehen, in Europa statt in den USA zu leben, dafür gibt es genügend Beispiele. Aber das soll hier nicht das Thema sein. Dieser US-Bürger ließ mich wissen, dass er vor der Einbürgerung in Deutschland als US-Amerikaner eine Arbeitserlaubnis auf Basis des Marshall – Plans bekommen hätte.
Diesen Plan habe ich immer als eine Nachkriegsregelung verstanden, die wegen der zugesicherten Souveränität der BRD aus dem 2+4-Vertrag außer Kraft getreten sein müsste. Zwar gibt es immer noch Finanzmittel aus dem Plan, die in Deutschland verwaltet werden, aber Privilegien für US-Bürger in Sachen Arbeitserlaubnis in Deutschland müssten eigentlich durch die Souveränität aufgehoben sein. Ich habe vergeblich versucht, dazu Informationen zu finden. Aber offenbar scheint es da noch Regelungen zu geben, die weiterhin wirksam sind.
Der Marshall Plan hatte u.a. zwei Zielsetzungen. Eindämmung der Sowjetunion und des Kommunismus sowie die Schaffung eines Absatzmarktes für die USA. Es wurden weiterhin aufgrund der Truman Doktrin Bindungen der Regierungen und Volkswirtschaften der europäischen Länder an die USA verstärkt. Der kalte Krieg ist beendet, aber Geflechte, die über mehr als vierzig Jahre lang aufgebaut wurden, löst man nicht innerhalb weniger Jahre auf. Im Datenschutzumfeld ist hierfür ein gutes Beispiel die Safe Harbor Regelung. Ein Kniefall gegenüber den USA trotz widersprechender gesetzlicher Regelungen in der gesamten EU. Aber das ist ein anderer Beitrag.
Ich stelle hier die Frage, wie weit diese jahrzehntealten Geflechte reichen, auf welcher rechtlichen Grundlage agiert wird und vor allem, welche Handlungs- und Entscheidungsbefugnisse das Bundeskanzleramt gegenüber den Amerikanern hat.

Es gibt Leute, die vertreten die Auffassung, dass Großbritannien der 51. Bundesstaat der USA sei und nur in der EU, damit die USA einen direkten Zugriff auf die Strukturen der EU haben. Immerhin ist Großbritannien im Kreis der schon vor 20 Jahren bekannt gewordenen Betreiberländer des Echelonsystems das einzige daran beteiligte Land in Europa. Wenn man weiterhin die durch die Interessen der USA entstandenen Einschränkungen der Bürgerrechte in der EU betrachtet, könnte man die These des verlängerten US-Arms unterstützen. PNR (Passenger-Name-Record), Swift, Safe Harbor und die Telekommunikationsrichtlinien sind da nur ein paar wenige Beispiele. Zur Erinnerung: Das deutsche Telekommunikationsgesetz, die Umsetzung einer EU-Richtlinie, wurde seinerzeit das Überwachungsgesetz genannt, und heute muss man es als allgemein hingenommen verstehen, obwohl es im Gesetz heißt, dass der Betreiber eines öffentlichen Kommunikationsmittels den Schlapphüten auf eigene Kosten eine Schnittstelle bereithalten muss. Das ist so, als ob man gesetzlich verpflichtet wird, eine Außensteckdose neben der Haustür zu installieren, damit die Bohrmaschine für das Türschloss auch Strom hat. Praktisch, nicht wahr? Vor allem, weil es das Budget der Schlapphüte schont. Und damit nicht genug. Das zum 01.07.2013 in Kraft getretene Bestandsdatengesetz erweitert die Zugriffserlaubnisse jener Stellen in Deutschland, die wir kritisieren, wenn sie von der anderen Seite des großen Teichs kommen. Die Sammelklage läuft … aber kaum einer redet darüber.

Und welche Rolle haben die Bundesregierung und die Geheimdienste in diesem Spiel? Amerikanische Interessen werden nicht nur hinreichend berücksichtigt, sondern in vorauseilendem Gehorsam erledigt. Wie sonst soll man die Äußerung des Ober-Schlapphuts Alexander verstehen, es sei „eine Ehre und ein Privileg, mit den deutschen Diensten, den fleißigsten Partnern, zusammenzuarbeiten.“
Entweder hat Angela Merkel wirklich keine Ahnung, was ich nicht glaube, oder sie weiß um die Verstrickungen und versucht in von Ziehvater Kohl gelernter Schweigsamkeit das Thema auszusitzen. Dann ist die Frage aber, kann sie die verfassungsmäßigen Rechte der Bundesbürger nicht schützen, oder will sie nicht.
Es ist natürlich von Vorteil, potentielle Opposition zu kennen und damit Macht zu erhalten, insbesondere wenn die oppositionellen Kräfte die Kontrollstrukturen nicht wahrnehmen. Der Überwachungsstaat hat ja durchaus seine Vorzüge …für gewisse Kreise.
Politiker sind bekanntermaßen an Konventionen, Lobbyisten und Interessensvertreter gebunden, über die nicht in den Medien berichtet wird. Jedenfalls nicht in den Schlagzeilen. Es mag zwar hin und wieder Geschichten über Korruption und Vetternwirtschaft geben und auch mal einen Hinweis auf einen hohen Parteivertreter der CDU, der mit 100.000,- DM Schwarzgeld in seiner Schublade erwischt wird. Aber das ist kein Hinderungsgrund Karriere zu machen und Bundesfinanzminister zu werden. Wer mit Schwarzgeld umgehen kann, ist ja auch mehr als qualifiziert für den Job. Nachdem der selbe Herr als Innenminister den Überwachungsstaat weitestgehend perfektioniert hat. Auch das ist nur eine Nebengeschichte. Aber wenn dieser Politiker nach dem Koffer mit dem Schwarzgeld gefragt wird, beantwortet er das mit einem Hinweis auf einen Journalisten, der das ebenfalls schon einmal gefragt hätte und verweist darauf, dass er keine Journalistenfragen beantwortet, wenn der Erstfrager nicht zugegen ist. Heiße Luft, nichts weiter. Merkel sagt zu der Frage, dass sie dem Finanzminister vertraue und die Fragestunde damit beendet sei. Wir alle wissen, wir reden hier über Dr. Wolfgang Schäuble, der den Rechtsstaat als Innenminister mit Füssen getreten hat (naja, passt hier wohl nicht so ganz, aber Sie wissen, was ich meine 😉 ), und dafür von Merkel volle Handlungsfreiheit bekommen hat. Wofür? Machterhalt? Zugeständnisse an einen machthungrigen und gewissenlosen Politiker, der ihr hinsichtlich Kompetenz und Erfahrung mehr als überlegen ist aber aufgrund seiner eigenen schwarzen Vergangenheit selbst nie das Kanzleramt übernehmen könnte? Ich nenne das Ausverkauf der Demokratie aus persönlichen niederen Beweggründen.

Wonach ich frage ist Fähigkeit und Wille einer Angela Merkel, ihrem Amtseid entsprechend zu handeln. Wenn sie das nicht will, weil es so schön ist Bundeskanzlerin zu sein, kann man das auf der menschlichen Seite ja noch verstehen. Die Wahrheit zu sagen, und zuzugeben, dass die Bundesregierung es übertrieben hat mit dem Sicherheitsargument und die Machenschaften des BND aus dem Ruder gelaufen sind, würde sie ja auch aus dem Kanzlersessel fegen. Und CDU-Kanzler sind bekanntlich gerne lange im Amt, also schließen wir das hier mal aus.

Wenn sie nicht kann, weil es Verflechtungen gibt, von denen wir nichts wissen oder Angela Merkel die Hände gebunden sind, weil sie übergeordneten Mächten unterworfen ist, geht es ihr nicht besser als denen, die sich in Bukowskis Zitat wieder erkennen. Ferngesteuert, von anderen beherrscht. Und damit wäre die Bundesrepublik Deutschland nach Großbritannien der 52. Bundesstaat der USA. Der erste, in dem nicht Englisch gesprochen wird. Es gibt aber keine erkennbaren Rechtsgrundlagen, seien es Verträge aus dem Marshallplan, die sog, „Kanzlerakte“, geheime Zusatzprotokolle zum 2+4-Vertrag oder andere Verbindlichkeiten, die einen deutschen Kanzler in Widerspruch zu seinem Amtseid setzen würden. Die Tatsache, dass jeder Kanzler seit Adenauer zwischen Wahl und Ableistung seines Amtseides einen Antrittsbesuch im Weißen Haus gemacht hat, ändert daran auch nichts.

Sollte ich mich dennoch irren und es tatsächlich solche Verbindlichkeiten geben, dann brauchen wir uns nicht die geringste Mühe machen, von Angela Merkel eine Antwort zu erhalten, wie sie gedenkt, die Bürgerrechte zu schützen, den BND abzustrafen und den Amerikanern Einhalt zu gebieten. Aber erstens sehe ich in der ganzen Diskussion nur das Merkelsche Interesse, auch nach der Wahl im September weiterhin in den Kanzlersessel zu furzen und zweitens ist es mir ziemlich egal, ob die NSA mich persönlich als „Staatsfeind“ auf dem Schirm hat oder nicht, solange mir keine Drohne auf den Kopf fällt. Was mir Angst macht ist die Vorstellung, dass ich durch die Rasterfahndung der US-Behörden in das Muster eines Terrorverdächtigen gerate, weil ich irgendwann einmal zufällig in einem Hotel übernachtet habe, in dem sich im Nachbarzimmer ein der NSA bekannter Verdächtiger aufgehalten hat, dieser wiederum irgendwann einmal in einem Flugzeug neben mir saß, bevor er auf die no-fly-liste gesetzt wurde, und ich hier meine Meinung über Überwachungsstaaten, machtbessene Politiker sowie Schlapphüte öffentlich mache. Dazu habe ich auch noch einen Bekannten, der Jemenit ist, mit deutscher Staatsbürgerschaft, der in Tunesien gelebt und in Hamburg studiert hat. Wenn mich aufgrund solcher gerasterten Absurditäten die deutschen Staatsschützer als entsandte Lakaien, ob von NSA oder deutschen Politkern, besuchen und komische Fragen stellen, macht es keinen Unterschied, ob das im Interesse der Amerikaner oder der deutschen Behörden ist, wobei letztere nach einem Gesetzeskatalog agieren, der von Bürgerrechten weit entfernt ist und den die plietschen Jungs von der Exekutive im Zweifel selbst nicht verstehen. Ich wüsste nicht, wie ich einem solchen Denkmuster begegnen soll…
Vielleicht auch mit Bukowski: “Der Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Diktatur liegt darin, dass man in der Demokratie wählen darf, bevor man den Befehlen gehorcht.”