Freunde, Römer, Mitbürger…
William Shakespeare, Julius Cäsar, Dritter Akt. Die Rede des Mark Anton. Sascha Lobo muss diese Rede wohl gelesen haben. Zumindest deutet er sie an, in seinem Kommentar zu Rainer Wendt, der als Vorsitzender der Polizeigewerkschaft im Handelsblatt ein Interview gegeben hat. Rainer Wendt, so Lobo, verdiene Bewunderung für seine Fähigkeit, sich in der gesamten Debatte um Prism den gefährlichsten Satz überhaupt auszudenken, und auch auszusprechen. Das wertvollste Bürgerrecht sei der Schutz vor Terror: „Ich habe die große Hoffnung, dass wir uns in Deutschland nicht länger auf unser Glück verlassen, sondern der Bevölkerung klipp und klar sagen, was zur Verbesserung polizeilicher Analysekompetenz nötig ist“. Wow, was für ein schöner Euphemismus.
Hat ja Tradition, dass in der Politik Dinge, die unschön klingen beschönigend formuliert werden. Entsorgungspark statt Müllkippe, nuklearer Ernstfall statt Atomkrieg, Vorratsdatenspeicherung anstelle von „präventiver, verdachtsunabhängiger Telefon- und Internetüberwachung …“. Ich fand den Begriff der „fussläufigen Bestreifung“ schon toll. Fußstreife. Das ist es, was ein Polizist macht. Aber das kann man ja auch bedeutender ausdrücken. Und jetzt das. Polizeiliche Analysekompetenz. Ich komme nicht darüber hinweg, mir diese Worte auf der Zunge zergehen zu lassen. In Hamburg sagt man, die haben echt plietsche Jungs bei der Polizei. Muss ja auch so sein, wenn sie nicht plietsch wären, wären diese Jungs nicht bei der Polizei, oder?
Der Schutz vor Terror ist ein Bürgerrecht, sagt der Herr Wendt, der schlaue Polizist. Aha. Werfen wir doch einmal einen Blick in das Grundgesetz, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland.
In Art. 2. Abs. 2, heißt es: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Wenn also jemand einen Terrorakt auf mich beabsichtigt, hätte der Staat die Pflicht, mich zu beschützen. Es heißt in Art. 2. Abs. 2. Satz 2 aber auch: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich“.
Wenn ich die Wahl zwischen Freiheit und Überwachung als Schutz vor Terror habe, ziehe ich die Freiheit auf jeden Fall vor. Ganz einfach aus dem Grunde der Verhältnismäßigkeit heraus. Mal abgesehen von meinen persönlichen Lebensbereichen, wo ich nur weiß, dass ich überwacht werde, z.B. weil ich ein Telefon und einen Internetzugang habe, stellt sich die Frage nach meiner Freiheit auch und vor allem dann, wenn die Innenmininsterkonferenz tagt. Es gibt regelmäßig Pressemitteilungen dazu und irgendwie passt es auch immer, dass gerade parallel zu solchen Veranstaltungen wegen irgendwelcher Islamisten, die als terrorverdächtig gelten und einen Anschlag auf Deutschland planen, erhöhte Sicherheitsbereitschaft ausgerufen wird.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich als Vielflieger bekomme Schweißausbrüche, wenn am Flughafen 20-jährige Bundespolizisten mit dem Finger am Abzug einer MP5 herumlaufen. Jetzt weiß ich nicht nur, dass ich überwacht werde und dass der Staatsapparat tätig ist, jetzt wird es mir beeindruckend vorgeführt. Und dabei fühle ich mich ganz bestimmt nicht wohl. Ich will nicht sagen, dass meine körperliche Unversehrtkeit davon berührt ist, aber mein körperliches Wohlbefinden schon. Ich habe schlichtweg Angst. Nicht vor den Terroristen, sondern vor denen, die sich von Sprücheklopfern wie Wendt beeindrucken lassen, den Finger am Abzug haben und nervös sind.
Peinlich für den Innenminister, wenn eine solche erhöhte Sicherheitsbereitschaft auf eine Bombenattrappe zurückzuführen ist, die von einer 80jährigen Oma zusammen gebaut wurde. Zu Testzwecken. Dennoch übersteht das Anti-Terror-Szenatio diese Panne unbeschadet. Es hätte ja trotzdem sein können.
Also alles nur eine inszenierte Panikmache.
Körperliche Unversehrtheit findet sich nur an einer Stelle im Grundgesetz und die sagt erst einmal nichts über Terrorbekämpfung aus. Wenn wir den Blick aber weiter schweifen lassen, finden wir so schöne Dinge wie:
Art. 3, Abs. 3: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Ich erinnere hierzu an die Rasterfahndung des BKA 2001, direkt nach 9/11. Gesucht wurde damals nach männlichen Studenten oder Ex-Studenten islamischen Glaubens zwischen 18 und 40 Jahren, die aus arabischen Ländern stammten. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Aktion als verfassungswidrig beschrieben, weil die vom BKA angeführte Rechtsgrundlage – § 7 BKA-Gesetz, alte Fassung – nicht als Einschränkung dieses Bürgerrechtes ausreichte.
Art 4 Abs. 1: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Fühlen Sie sich heute noch unbeobachtet, wenn Sie im Internet Begriffe recherchieren, die in den Schlagwortlisten des BND, BKA, der NSA, CIA und all den anderen Schlapphüten gespeichert sind? Wenn ich jetzt so etwas wie Ammoniumnitrat sage, und das in Verbindung mit Präsident oder Kanzler geht beim BKA die rote Lampe an …
Nicht, dass ich etwas zu verbergen hätte, denn ich plane kein Attentat, habe niemals eines geplant, denke nicht über eine Unterstützung zu einem Attentat nach und werde das auch nie tun. Merken Sie etwas?
In einer Demokratie sollte es nicht nötig sein, vor Überwachern Angst zu haben. Habe ich aber. Und ich sage Ihnen auch, warum.
Art 5. Abs. 1
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Über diesen Artikel sind ganze Bibliotheken verfasst worden, die ich hier ganz bestimmt nicht wiederholen werde. Eines möchte ich aber zu bedenken geben. Sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert unterrichten zu können, hat etwas mit Joseph Göbbels und der deutschen Geschichte zu tun. Wer damals „Feindsender“ hörte wurde wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt. Auch deshalb ist heute die freie Meinungsbildung grundgesetzlich garantiert und jeder einzelne hat das Recht, sich Zugang zu Quellen zu verschaffen, ohne daran gehindert zu werden.
Die Hofberichterstatter der Bundesregierung, die sich u.a. „überparteilich“ und „unabhängig“ nennen, wissen dies ganz genau. Es kann ja schließlich jeder selbst entscheiden, welche Zeitungen er liest, oder welches Rundfunkprogramm man sich in Deutschland antut.
Wie sich das mit Presseorganen verhält, die sich nicht an die internen Spielregeln halten, kann auch jeder selbst recherchieren. Sie erinnern sich vielleicht an die auflagenstärkste Ausgabe der „Überparteilichen“, die jemals das springersche Verlagshaus verlassen hat. Unter dem Titel „Der Umfaller“ wurde ein um ein 90 Grad gedrehtes Bild des damaligen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl veröffentlicht, Hintergrund war seine Wahllüge, dass es wegen der Wiedervereinigung keine Steuererhöhungen geben werde. Naja, die CDU nannte das dann Abgabenerhöhung. Was ja auch etwas völlig anderes ist :-/.
Unbestätigten Gerüchten zufolge wurde der damalige Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje 2 Tage nach der Redaktionskonferenz, in der Helmut Kohl sich telefonisch höchstpersönlich bei Tiedje beschwert hat, vom Sicherheitsdienst vor die Tür geleitet. Dem gegenwärtigen Chefredakteur wird das sicher nicht passieren, da er ja weiß, dass seine Chefin Friede Springer nicht nur eine Freundin von Angela „Angie“ Merkel ist, sondern auch für die CDU – als Mitglied der 12., 13., 14. und 15. Bundesversammlung – 2004, 2009, 2010 und 2012 an der Wahl des Bundespräsidenten teilgenommen hat. Ein Schelm wer Böses dabei denkt, dass die Überparteiliche über Merkel und die NSA nur sehr zurückhaltend berichtet, oder Edward Snowden als „Michbubi“ bezeichnet wird.
Aber um auf das Grundgesetz, das Recht auf ungehinderte Meinungsbildung und die Gewährleistung der freien Berichterstattung zurück zu kommen (Was macht eigentlich Hans-Hermann Tiedje? OK, ich lasse das jetzt….)
Die Gründungsväter der BRD hatten 1949 sicher nicht ein Grundrecht gegen Terror im Sinn, denn alles, was damals damit in Verbindung gebracht worden wäre, hätte mit den Nationalsozialisten zu tun gehabt. Und das wäre in den Kommentaren zum Grundgesetzes schon damals hinreichend erwähnt worden. Ist es aber nicht. Dass der Bürger vor seinem eigenen Staat geschützt werden muss, ist in anderen Artikeln hervorgehoben.
Art 10, Abs .1 Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. Ich muss Sie leider enttäuschen. Seit 1969 wurde das dieser Artikel mehrfach geändert, zuletzt hat der Innenausschuss die Befugnisse des BND am 25. März 2009 erweitern. Also auch nix mehr mit Bürgerrechten …
Art. 13, Abs. 1. Die Wohnung ist unverletzlich. Abs. 2 – 7 regeln die Ausnahmen. Viel diskutiert wurde der „Große Lauschangriff„, den das Bundesverfassungsgericht 2004 für verfassungswidrig erklärt hat, weil große Teile des Gesetzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität gegen die Menschenwürde verstoßen. Aus der Welt ist der Lauschangriff damit aber nicht. Das Urteil musste bis zum 30. Juni 2005 in einem neuen Gesetz umgesetzt worden sein. Im Mai 2005 verabschiedeten SPD und Grüne im Bundestag schließlich das „Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur akustischen Wohnraumüberwachung”.
Art 16a, Abs. 1. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
Edward Snowdens Asylantrag in Deutschland ist abgelehnt worden. Er ist ja auch kein politisch Verfolgter, sondern ein Krimineller… :-/ Zumindest in den Augen der Amerikaner.
Ich könnte durchaus so weitermachen, es ist aber einfacher, sich in diesem Blog an die Schlagworte „Schäuble“ oder die Kategorie „Überwachungsstaat“ zu halten. Seit Jahren bastelt jetzt die Merkelsche Regierung recht erfolgreich am Überwachungsstaat BRD und was ich dabei besonders hervorheben möchte ist folgendes:
Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder die Gesetze, die dem Überwachungsstaat dienen, als verfassungswidrig bezeichnet, teilweise verfassungswidrig tituliert und dem Bundestag aufgetragen, es besser zu machen. Immer wieder gab es neue Entscheidungen zum immer gleichen Thema: Überwachungsstaat versus Bürgerrechte. Wobei eine sehr deutliche Tendenz in Richtung der Bürgerrechten zu verzeichnen ist. Trotzdem hat insbesondere Dr. Wolfgang Schäuble in seiner Funktion als Innenminister seine Vorstellung von Überwachung (Sorry, Herr Schäuble, Sie nennen das ja Sicherheit und Terrorbekämpfung) immer weiter vorangetrieben und die Stellungnahmen des Bundesverfassungsgerichtes als Aufforderung verstanden, neue Wege der Umgehung zu finden.
Werfen Sie mal einen Blick in das BKA – Gesetz. Viele der Dinge, die das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig beschrieben hat, sind darin verankert, weshalb das BKA – Gesetz selbst auch beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist. Wohnraumüberwachung, Telefonüberwachung, Internetüberwachung, Rasterfahndung usw, usw.
Manchmal frage ich mich, was einen Abgeordneten dazu bewegt, Abgeordneter zu werden. Geht es um eigene Versorgungsansprüche, und darum sein Leben als Stimmvieh zu fristen? Oder tatsächlich um den Glauben an Gesetzesvorlagen, die den Bürgerrechten zuwider laufen und den Überwachungsstaat betonieren?
Ein Abgeordneter ist nur sich selbst und seinem Gewissen gegenüber verantwortlich. Wenn das Bundesverfassungsgericht seit Jahren mit den vorliegenden Entscheidungen eine Grundtendenz vermittelt, die ganz deutlich NEIN zum Überwachungsstaat sagt, dann kann es doch nicht so schwer fallen, sich auf demokratischsche Prinzipien zu berufen und gegen Gesetze zu stimmen, die gegen die Freiheit des Einzelnen gerichtet sind.
Schäuble sagte einst, dass Verfassungsrichter für “Ratschläge zur Ausgestaltung solcher (Anti-Terror-)-Gesetze nicht demokratisch legitimiert” sind und “alle grundrechtlich geschützten Bereiche irgendwo enden”. Wo diese Grenzen liegen, sei seiner Ansicht nach “Sache des Gesetzgebers”. Der Gesetzgeber aber, liebe Leser, ist nicht Wolfgang Schäuble und auch nicht Angela „Angie“ Merkel. Der Gesetzgeber sind die Abgeordneten im Bundestag, das Stimmvieh. Wenn diese Damen und Herren nicht die Intelligenz oder den Willen haben, sich gegen eine kontrollierte und überwachte Gesellschaft aufzulehnen, dann mag das vielleicht mit Leuten wie Rainer Wendt zu tun haben. In einem der Kommentare zu Sascha Lobos Artikel wurde er „geistiger Brandstifter“ genannt. Das sind die Leute, die Unheil hervorbringen. Mir wäre es in diesem Sinne lieber die Polizei würde das tun, wofür sie einen Auftrag aus der Verfassung hat, nämlich mich zu schützen, und nicht, mich einem Generalverdacht auszusetzen, ich könnte ein Terrorist sein.
Polizeiliche Analysekompetenz. Ich fasse es einfach nicht, wie man sich mit solchen Worten vor die Öffentlichkeit stellen kann.
Ja, liebe Leser, vielleicht merkt der eine oder andere doch noch, was hier wirklich vonstatten geht. Ich hege ja Hoffnung. Sie erinnern sich? Brutus war ein ehrenwerter Mann… Und er wurde nach der Rede Mark Antons vom Volk zum Teufel gejagt. Na gut, nicht ganz. Zumindest aus der Stadt. Aber das ist auch nicht schlecht…
1 Gedanke zu „Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann“
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