Datenselbstschutz, oder der teuflische Pakt

Ich verstehe da gerade etwas nicht.
Mein Verfassungsminister hat kürzlich das Supergrundrecht auf Sicherheit erfunden. Manch einer zweifelt zwar an der Seriosität dieser Aussage, aber ich glaube immer noch an das Gute im Menschen. Ist doch was Feines, so ein Rundum-Sorglos-Paket aus dem Hause Merkel, auch wenn man dafür Opfer bringen muss, die ganze Sache mit der Vorratsdatenspeicherung und die Überwachung des Netzverkehrs zum Beispiel. Und es ist ja auch ganz toll, wie sich die Nachrichtendienste um mein Wohl sorgen. Rund um die Uhr haben sie ein Auge auf mich.

Aber nun erklärt mir Herr Friedrich, dass er das mit der Sicherheit eigentlich gar nicht kann, und rät mir, selbst mehr für den Schutz meiner Daten zu tun. Die Technik zur Ausspähung existiere nun mal, sagt er, deshalb würde sie genutzt.
Die Bundeskanzlerin kann mir in meiner Verwirrung auch nicht helfen. Die Chefin vom Verfassungsminister spielt gerade „Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts“, und erklärt mir, das mit dem Schutz der Persönlichkeitsrechte sei ja gar nicht ihre Aufgabe. Die Opposition schimpft zwar darüber, aber irgendwie hört sich das auch nur nach einem verzweifelten Versuch an, die aktuelle Regierung schlecht aussehen zu lassen, um die sich abzeichnenden Niederlage bei der nächsten Wahl doch noch abzuwenden.
Und nun? Wie genau geht das mit dem Datenselbstschutz, Herr Friedrich? Verschlüsselung und Virenschutz, sagen Sie? Aber klar doch.

Die Versuchung
Bei meinem Elektro-Discounter wird mir ein Kaufvertrag für eine Waschmaschine vorgelegt. Ich will das vorbereitete Formular auch schon unterzeichnen, als ich auf die Ausführungen zum Datenschutz aufmerksam werde.
Zunächst heißt es darin: „Der Käufer hat das Recht, der Verarbeitung oder Nutzung seiner Daten für Zwecke der Werbung oder der Markt- oder Meinungsforschung zu widersprechen.“ Das ist schon irritierend. Mein Verständnis des Datenschutzes war ja stets, dass ich jemandem die Nutzung meiner Daten ausdrücklich erlauben muss, und nicht, dass ich der Nutzung gegebenenfalls widersprechen muss, ausgenommen natürlich, es handelt sich um Daten, ohne die mein Geschäftspartner nicht tun kann, womit ich ihn selbst beauftragt habe. Ich muss ihm schon sagen, wer ich bin und wo ich wohne, damit er weiß, wohin er die Waschmaschine liefern soll. Ich habe nicht das Gefühl, jemanden damit beauftragen zu wollen, mich mit Werbung zuzuschmeißen oder mein Konsumverhalten zu analysieren.
Der nächste Absatz der Vereinbarung lautet sinngemäß so: „Die Firma x und die y-Bank arbeiten bei der Finanzierung von Einkäufen eng zusammen. Daher erkläre ich meine Einwilligung dazu, dass die diesem Vertrag gemachten Angaben an die y-Bank weitergegeben werden.“ Hallo, geht‘s noch? Ich will bar zahlen. Warum sollte sich irgendwer den Kopf über meine finanziellen Verhältnisse zerbrechen?
Und nun? Es ist ein ganz alltäglicher Fall, einer von der gemeinen Sorte, bei der nicht sofort sonnenklar ist, was zu tun ist. Viel ist es ja nicht, was an Daten zur Weitergabe ansteht: Name und Adresse, Geburtsdatum, Telefonnummer und die Daten zum Kaufobjekt inklusive Preis. Da ist die Versuchung groß, einfach zu unterschreiben, anstatt ein großes Tamtam darum zu machen.

Der teuflische Pakt
Ein Vertrag ist eine Abmachung zwischen zwei Parteien, die beide ein Interesse an einem Handel haben, und beide haben eine Vorstellung davon, wie das Geschäft über die Bühne gehen sollte. Handel hat ja etwas mit Aushandeln zu tun, doch üblicherweise werden Bürger und Konsumenten mit vollendeten Tatsachen, sprich Formularen konfrontiert. Vermutlich hat jedes solche Formular einen langen Weg durch Vertriebsabteilungen, Rechtsabteilungen und Marketingabteilungen hinter sich. Sie alle sollten darauf achten, dass die Interessen der Firma oder Behörde, mit der ich es zu tun habe, gewahrt bleiben. Meine Interessen sind das meist nicht. Auf die muss ich schon selbst achten.
Das ist aber im Ablauf nicht vorgesehen. Das bringt alles durcheinander. Das ratlose Gesicht eines Verkäufers im Elektro-Discounter, dem man erklärt, der von ihm vorgelegte Kaufvertrag sein wahrscheinlich rechtswidrig, auf alle Fälle subjektiv inakzeptabel, weshalb man gar nicht daran dächte, ihn so zu unterzeichnen, wäre was für ein Youtube-Video mit potenziell hoher Click-Rate. Vielleicht würde der Verkäufer seinen Chef anrufen. Wenn der erführe, da gäbe es in den AGBs das eine oder andere zum Datenschutz, über das wir reden müssten, würde er mich wohl einfach vor die Tür setzen, ohne Waschmaschine.
Unterschreibe, zahle und sei still. Sei froh, dass wir dir etwas verkaufen. Deine Daten sind doch ein kleiner Preis für die tollen Sachen, die du bei uns bekommst. Wie, da gibt es Urteile, wie dass die Zustimmung zur Datennutzung aktiv und freiwillig erfolgen muss? Das einzig aktive ist der Ärger, den du gerade machst. Und was soll das heißen, Kopplungsverbot? Bei uns ist das Geschäft immer daran gekoppelt, dass du hier und hier und hier unterschreibst. Und sei froh, dass wir etwas sagen über all das, was wir mit deinen Daten vorhaben. Das müssten wir ja gar nicht, denn das sind doch Daten, die du uns schuldest, also unser Eigentum.

Nun, denke ich, rechtlich gesehen ist das ziemlicher Unsinn und könnte meinem Gegenüber richtig Ärger einhandeln. Ich frage mich für einen Moment, ob ich mir das bieten lassen sollte. Ich könnte ja zur Konkurrenz gehen. Aber, na ja, dort sieht es auch nicht anders aus, außer, dass da alles viel teurer ist. Himmel noch, ich will doch bloß diese blöde Waschmaschine kaufen. Müsste das nicht ohne Anwalt gehen? Und was hätte ich davon, wenn Justitia Recht gibt, mir aber der verklagte Laden auf alle Zeiten böse wäre und mir Hausverbot erteilt? Vermutlich wird er mich auch umgehend bei Schufa und Co. als schlechtes Risiko verpetzen und ich bekomme nirgendwo auch nur einen Prospekt, geschweige denn etwas zu kaufen. Wobei mir einfällt, dass ich mir ja demnächst eine neue Wohnung suchen muss. So ein Makler fragt sicher immer bei diesen Auskunfteien nach, weshalb ich fürchte, dass ich es nicht mal bis in die Warteschlange bei der Wohnungsbesichtigung schaffen würde, geschweige denn zu einem Mietvertrag. Der Verfassungsschutz hat mich sicher schon als Krawallbruder identifiziert und warnt nun arglose Zeitgenossen vor mir.

Ich denke, ich sollte doch besser ein unauffälliger Bürger bleiben. Und überhaupt: die wissen ja eh schon alle alles über mich. Also schweige ich, unterschreibe ungelesen alles Kleingedruckte, klicke auf jeden Button, der mich auffordert, eine EULA zu akzeptieren, mache das Häkchen in das Kästchen, dessen Text besagt, ich hätte die Datenschutzbestimmungen gelesen und fände sie auch ganz toll, und denke: nehmt sie, meine digitale Seele. Wenn ich dafür bloß mein Gadget bekomme.
Und während der Verkäufer auf der Tastatur seines PCs klappert und mein virtuelles Ich in sein CRM-Tool stopft, denke ich an Herrn Friedrich und sein Supergrundrecht auf Sicherheit, sein Versprechen, mich schützen zu wollen vor allem Bösen in dieser Welt und überlege, wie ich das mit der Verschlüsselung und dem Virenschutz machen soll – auf Papier oder während ich meinen Namen buchstabiere.

Nachwort
Und wieder sehe und höre ich die „Ich habe nichts zu verbergen“-Zeitgenossen, welche gequält aufstöhnen, weil schon wieder so ein Gutmensch über Datenschutz schwadroniert. Warum sollte man der Weitergabe eigener Daten in einem so harmlosen Fall wie dem geschilderten widersprechen? Diese Frage ist vielleicht deswegen so schwierig, weil es die falsche ist. Die richtige Frage lautet: Warum sollte man der Weitergabe zustimmen? Was hat man davon? In meinem Fall war die Antwort: Nichts, absolut nichts. Wie dumm ist nämlich, anderen das Gold der Gegenwart nachzuwerfen, nämlich Daten, Daten, Daten, und nichts dafür zu bekommen außer eventuell Ärger? Und damit war die Sache entschieden.

Der Kaufvertrag bot nicht die Möglichkeit, den Widerspruch zum Thema Werbung, Markt- und Meinungsforschung unmittelbar kundzutun. Ich ergänzte ihn deshalb handschriftlich selbst entsprechend. Ein dicker Strich quer durch den Absatz zur y-Bank machte mich endgültig zum schwierigen Interessenten.
Aber – oh Wunder – das Geschäft hat das nicht verhindert. Das mag nicht alltäglich sein. Aber alltäglich sollte es sein, zu bemerken, dass man gerade seine digitale Seele verkauft und datenmäßig über den Tisch gezogen wird. Zu wissen, wie das enden kann. Seine Rechte zu kennen und zu sagen: nein, so nicht, weder für den Elektro-Discounter noch für den Bundesinnenminister.
Kann man machen, mit etwas Rückgrat.

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