Teufelswerk hat einen Namen

Am Tage ihrer Hochzeit ist Angie L. 42 Jahre alt und lebt in einer außereuropäischen Großstadt. Ihre für Landesverhältnisse doch recht späte Hochzeit verkündetete sie mit einem Profilfoto auf Facebook, das lediglich ihren Ringfinger zeigte, verziert mit einem Verlobungsring, der aufgrund der Größe des Diamanten nur zu erahnen war. Zur Hochzeit bekam sie von ihrem fürsorgenden Ehemann einen Jeep Rubicon geschenkt. 282 PS, wüstentaugliche Vollausstattung, mit Navi und Schnorchel, damit sie auch bei einer recht unwahrscheinlichen Überflutung des Stadtgebiets sicher zum Einkaufszentrum und wieder nach Hause kommt.
Wenige Wochen, nachdem sie unter fleißiger Nutzung von WhatsApp und SMS dauerbremsend und stauverursachend durch die Stadt geschlichen war, stellte sie fest, dass ihre Bremse merkwürdig reagiert. Ein starkes Zittern des Bremspedals veranlasste sie dazu, einen Bekannten zu fragen, ob er das Auto probefahren könne, was dieser in einem recht hügeligen Stadtteil dann auch tat. In einer Art, wie man üblicherweise einen Jeep fährt. Speedbumps sind kein Hindernis, Schlaglöcher nimmt man mit einem Lächeln und Kurven sind zum Driften da.

Wie sich später herausstellte, ist das Zittern des Bremspedals eine Warnfunktion des ABS-Systems, das ausgelöst wird, wenn die Sensoren durch Bremsstaub beeinträchtigt sind. Bei normaler Fahrweise tritt dieser Fehler nicht auf, kommt aber schon mal vor, wenn man ein Auto nur als einen Einkaufswagen betrachtet und dauerbremsend auf dem Weg zum nächsten Designerladen berufstätige Pendler durch eine nicht am Verkehrsfluss orientierte Fahrweise dazu bringt, in das Lenkrad zu beißen.

Ein paar Wochen später wird Angie’s Bekannter bei einem zufälligen Treffen von ihrem Ehemann angesprochen. Er hätte 2 Tage nach der Probefahrt einen Anruf von der Versicherung bekommen, in dem er gefragt wurde, ob das Fahrzeug in einen Unfall verwickelt gewesen sei. Denn die Fahrweise an besagtem Tag würde nicht den vereinbarten Versicherungskonditionen entsprechen, da diese auf “gemäßigt” abgestellt seien, was eine entsprechend günstige Versicherungsprämie beinhaltet. Der Ehemann, der in finanziellen Dingen offensichtlich nur seiner Frau gegenüber auf dicke Hose macht, aber sonst ein Sparfuchs ist, antwortete, dass ein Jeep auch schon mal mit durchdrehenden Rädern unterwegs sein könne. Und hierauf hätte er zu hören bekommen: “Ja, im Busch. Und auf Sandpisten. Aber nicht im Stadtgebiet.”

Die Versicherung, die hier Telemetriedaten eines Fahrzeuges zum Bestandteil einer KFZ-Versicherung macht, gehört zum Virgin-Konzern des Herrn Richard Branson. Der selbe Richard Branson, der auch Krankenversicherungen verkauft; eine Fitnessstudiokette betreibt, in der Vitaldaten an den Kardiogeräten erhoben werden; u.a. eine Fluggesellschaft hat und alle hierbei anfallenden Kundendaten miteinander nicht nur kombiniert, sondern auch nachhält und Kunden profiliert. Der Richard Branson, der letztes Jahr in Europa ein Joint Venture mit der Generali Versicherung verkündet hat, dass man zukünftig günstigere, kundenorientierte, auf Nutzung von Versichertendaten basierende Krankenversicherungen anbieten wird.

In Sachen Vitalwerte wird Mr. Branson eine Meldung von der IAA 2015 über einen schlauen Autositz sicher mit höchstem Interesse vernommen haben. Der Automobilzulieferer Faurecia hat einen Autositz entwickelt, der die Vitalwerte des Fahrers überwacht und bei Bedarf auf diese Werte reagieren kann. Das Konzept „Active Wellness“ überwacht ohne jeglichen Hautkontakt mittels integrierter Sensoren im Sitzsystem Herzrhythmus, Atemfrequenz, Körperbewegungen, motorische Unruhe, Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Blickverfolgung, Lidschlussrate, Blinzeln, Kopfneigung und Gesichtsausdruck des Fahrers.
Wie schön, nun können sich also alle sicherer fühlen, wenn der Taxifahrer einen Herzinfarkt bekommt, und das Auto von selbst rechts heranfährt und anhält. Den gleichen Gedanken hatte auch die sicherlich nicht durch Lobbyisten beeinflusste Europäische Kommission, als sie ein Systems namens eCall gesetzlich verankert hat. Das eCall-System (emergency call) ist ein automatisches Notrufsystem, das ab dem 31. März 2018 verpflichtend in alle neuen Modelle von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen eingebaut werden muss.
Es basiert auf im Fahrzeug montierten Mobilfunksystemen und Sensoren, die im Falle eines Unfalls automatisch einen Ruf an die europaweite Notrufzentrale 112 absetzen. Offizielle Darstellung der EU ist die Senkung der Zahl von Verkehrstoten und die Reduktion der Schwere von Verletzungen im Straßenverkehr. Datenschützer hingegen sehen eher die Hand des Teufels am Werk.

Die Entwicklung eines solchen Systems ist schon ein wenig älter und dass es funktioniert, wurde bereits im Dezember 2007 bewiesen, als bei einem Crashtest des TÜVs mit einer Oberklasselimousine vergessen wurde, das System abzuschalten. Die Service-Zentrale des Herstellers ortete das mit Dummies “verunfallte” Fahrzeug per GPS und schickte die Rettungsdienste auf den Weg.

Das System steht in der Kritik, die technische Grundlage für eine EU-weite Infrastruktur zur Überwachung zu schaffen. Überdies können Fahrzeughersteller die verpflichtend vorhandene Technik auch für kommerzielle Zusatzdienste nutzen, denn eCall selbst unterliegt datenschutzrechtlichen Schranken, aber nicht die Zusatzdienste. Da moderne Autos als mobile Computer zu verstehen sind, ist die gesamte Fahrzeugindustrie in der Lage, unbegrenzt Daten über das Fahrzeug und das Fahrerverhalten zu gewinnen.
Und Telemetriedaten scheinen das Brot der Zukunft für Autohersteller, -verkäufer, Zulieferer und Versicherungen zu sein. Denn die Vernetzung von Fahrzeugen ermöglicht nicht nur einen Zugriff auf die Informationen von Navigationssystemen. Ob Zieleingaben wie Heimatadresse, Kunden oder die Freunde in den Favoriten – das Navigationssystem kennt alle. Es erlaubt Rückschlüsse auf Bewegungsprofile, Kundenregionen und konkrete Kunden- oder Privatadressen. Das ist aber nicht alles. Eine Mercedes S-Klasse bspw. produziert ein Gigabyte Daten, pro Sekunde. Für Versicherer ist die Erstellung von Risikoprofilen damit kinderleicht. Wo ist das Fahrzeug? Wer fährt und wie fährt er oder sie? Wie steht es um den Spritverbrauch? Wie ist das Beschleunigungs- und Bremsverhalten?
Auch in Unternehmen wird die Technik genutzt. Bei Speditionen können die gleichen Fragen beantwortet werden, haben dort aber einen anderen Fokus, als bei den Versicherern. Z.B. Wer macht Pause und wer kann den nächsten Auftrag annehmen? Innenraum-Kameras, mobile Endgeräte oder Postings und Tweets in sozialen Medien ergänzen das Spektrum, genau wie die Musik des Fahrers in der Cloud. Wenn darüber hinaus auch das Adressbuch des Mobiltelefons mit dem Bordtelefon des Fahrzeuges synchronisiert ist, kennt das Auto auch private Telefonnummern, von der Familie, von Freunden, und auch die von Kunden.

Und Dank Active Wellness kennt das schlaue Auto auch die persönlichen Befindlichkeiten des Fahrers. Daraus ergeben sich ganz neue Möglichkeiten für die Versicherer. Pulsfrequenz, Aufenthaltsort und Tageszeit können z.B. Indizien für Privatvergnügungen sein, die vielleicht besser privat bleiben sollten. Aber dennoch könnte man diese Werte auch zur Gesundheitsvorsorge verwenden. Wenn der ältere Geschäftsmann auf Umwegen nach Hause fährt, wird ihn vielleicht interessieren, dass man Viagra nachsagt, für Herzprobleme verantwortlich zu sein. Gut, dass das Auto schlau ist und in solchen Fällen die Zündung blockieren könnte, bevor sich jemand nach einem außerehelichen Schäferstündchen ans Steuer setzt. Überhaupt könnten Herzrythmusstörungen und erhöhte Temperatur oder zu hoher Körperfettanteil zu medizinischen Ratschlägen verwendet werden. Dumm nur, wenn die Werte als überdurchschnittliches Risiko für den allgemeinen Straßenverkehr verwendet werden und die Prämie steigt.
Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt, denn wenn Vitalwerte zur Befähigung zum Führen eines Kraftfahrzeuges verwendet werden und sich aus dem Profil des Fahrers ergibt, dass er nachts besser nicht fahren sollte, könnte das schlaue Auto die Türen blockieren. Utopia?

Weit gefehlt. Norwegische LKW-Fahrer müssen schon heute vor jedem Start des LKW in einen Alkoholtester pusten. Das Auslesen biometrischer Werte durch intelligente Autos würde das erübrigen und noch einiges weit darüber hinaus ermöglichen. Politik und Polizei entwickeln unter anderem, ob künftig ein Modul zum ferngesteuerten Anhalten als Pflichtausstattung für alle Neuwagen in der EU eingebaut werden soll. Das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei und das Bundesverteidigungsministerium beschäftigen sich seit 2005 mit Techniken zum ferngesteuerten Anhalten von Fahrzeugen und BMW soll das heute schon können … Und damit wird des Teufels Werk vollbracht.

Angie L. weiß das alles nicht und es interessiert sie auch nicht. Für sie zählt nur das Auto, der Diamantring und ein komfortables Leben. Dass ihr Mann aus Kostengründen das Leben seiner Frau transparent macht, würde sie sicherlich auch nicht interessieren. Geld gegen Daten ist offenbar schon mehr gängige Praxis, als die Öffentlichkeit es wahrnimmt. Es dürfte aber einen Unterschied machen, ob man eine Versicherungsprämie vor dem Selbstbestimmungsrecht einer Ehefrau priorisiert, oder ob man sich selbst dazu entscheidet.
Denn wenn Angie einmal ernsthaft darüber nachdenken würde, was ihr Mann hier macht, würde sie vielleicht auf die Idee kommen, dass er den Klunker und das Auto mit dem Verschenken ihrer Privatsphäre refinanziert. Die Profilierung von Angie durch Apps und Bewegungsprofile aus Geodaten sowie einer Analyse ihrer Interessen und ihres Kaufverhaltens als zahlungskräftige Ehefrau macht es für ihn am Ende des Tages nur teurer. Hier geht es letztlich nur darum, eine Frau mit materiellen Dingen bei Laune zu halten. Nur was ist mit all den anderen, die durch solche Technologien fremdbestimmt werden?

Eines dürfte klar sein. Gebrauchte Autos werden teurer werden. Denn nicht nur Straftäter haben etwas dagegen, in ihrer (Entscheidungs-) Freiheit durch andere, im wahrsten Sinne des Wortes, ausgebremst zu werden …

1 Gedanke zu „Teufelswerk hat einen Namen“

  1. Hallo Michael,
    mal wieder ein sehr spannender Artikel, Danke!

    Eine nicht unerhebliche Anzahl an Menschen kümmert dies nicht, denn sie glauben, dass sie nichts zu verheimlichen haben. Das macht es einigen sehr einfach solche Gesetze durch-, bzw. umsetzen zu können. Zudem ist Vielen nicht bewusst, was solch ein Gesetz bewirkt.

    Es macht mir Angst, Danke für diesen Ausblick! … aber es hilft auch ein bisschen

    Eine Zwickmühle, Datenschutz, Privatsphäre, ja und nu?

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