Sind Sie blauäugig?

Die Payback-Anwältin Cornelie von Gierke hatte in einer Verhandlung vor dem BGH die Auffassung vertreten, dass moderne Verbraucher nicht blauäugig an Rabattsysteme herangingen. Sie wüssten, dass Händler nichts zu verschenken hätten und ließen sich dafür bezahlen, als Modell zur Marktforschung zur Verfügung zu stehen. Das war im Februar 2008, in einer Zeit, in der die Medien noch nicht täglich über das Thema Datenschutz berichteten. Hinsichtlich der öffentlichen Empörung über Mitarbeiterüberwachungen, missbräuchlicher Verwendung von Bankdaten, Kreditoren-Debitoren-Abgleiche oder der Analyse von Festplatteninhalten könnte man annehmen, dass im Bewusstsein der Verbraucher eine Sensibilisierung für diese Themen stattgefunden hat. Aber ist das auch so?

Neulich stand ich in der Niederlassung einer Kaffeehauskette, in der mir schon des öfteren eine Rabattkarte ausgehändigt wurde. Pro Kaffee wird die Karte mit einem Stempel versehen, ist die Karte voll, gibt es einen Kaffee geschenkt. Sie kennen das sicher, immer wenn man eine Karte voll haben könnte, ist sie gerade nicht zur Hand, was dazu führt, das man eine Weile zur Zielerreichung benötigt und man diese Karten reihenweise in irgendwelchen Jackentaschen wieder findet. Würde mich nicht wundern, wenn es bei Ebay halbvolle, dreiviertelvolle oder einlösbare Karten zu ersteigern gibt. Aber jetzt ist es soweit, hurra, ich bekomme einen Kaffee, für den ich nicht bezahlen muss. … doch erst, nachdem ich auf der Karte meinen Namen, meine PLZ und meine Emailadresse hinterlassen habe, wie mich der nette Herr hinter dem Tresen wissen lässt.

Och nöö. Hat Frau von Gierke doch recht? Ich soll also meine Privatsphäre zum Gegenwert eines Kaffees verkaufen? Nein, als Datenschützer muss man konsequent sein und sich weigern. Aber der junge Mann lässt mich wissen, dass es ohne diese Daten nichts geschenkt gibt. Aha. Also trage ich ein: Name Lieschen Müller, PLZ 99999, Email xx@xyz.de. Und siehe da, ich bekomme meinen Kaffee. Das schreit nach Erklärungen und die bekomme ich auch. Die Angabe der Daten wird von dem netten Tresenmenschen mit steuerrechtlichen Vorgaben begründet. Merkwürdig hieran ist jedoch, dass nur diese eine Kette steuerrechtlich gebunden zu sein scheint, weil alle anderen mir bekannten Kaffeehausketten mit Rabattsystemen solche Angaben nicht abfragen.

Sicherlich ist der jetzige Erhalt eines kostenlosen Kaffees eine vorgabenverständige Geste des Tresenmenschen. Es hat ihm sicher niemand erzählt, dass die Daten auch korrekt sein müssen, wenn das Finanzamt zur Prüfung kommt. Also müsste er sich im Zweifel auch einen Personalausweis zeigen lassen, besser noch eine Kopie davon erstellen und der Steuerbehörde zukommen lassen, damit die beim Steuerpflichtigen den vermögenswerten Vorteil besteuern kann. Für  die Kaffeehauskette Balzac wäre das einfacher. Mit der Kameraüberwachung würde sich der zum steuerrechtlichen Nachweis erforderliche Datenbestand der Rabattkarte auf Datum und Uhrzeit beschränken lassen. Bei gleichzeitiger Übergabe der Aufzeichnungen aus dem Verkaufsraum an das Finanzamt könnte dieses dann durch eine Ausdehnung der Zweckbestimmung des Passgesetzes  (§ 22 Verarbeitung und Nutzung der Daten im Passregister) dank biometrischer Daten einen Abgleich vornehmen und dem Steuerpflichtigen einen Bescheid zukommen lassen: „Sie haben einen kostenlosen Kaffee getrunken und werden aufgefordert, die hieraus fälligen Steuern sofort zu begleichen. Anderenfalls wird eine Haftanordnung gegen Sie ergehen“. Dieses Modell scheitert aber schon daran, dass Balzac die Kameras abbauen musste.

Der Kaffeemann entwickelt Interesse am Thema und erzählt. Es wäre für ihn der Ausnahmefall, dass jemand nicht bereit sei, diese Daten für einen Kaffee herzugeben. Es sei sogar so, dass Rückfragen kämen, ob auch die Telefonnummer eingetragen werden soll, und manche Kunden würden meckern, dass im Feld für die PLZ kein Raum für die Adresse sei. Der Gedanke liegt nahe, dass Leute, die ihre eigenen Daten so sorglos hergeben, mit den Daten anderer genau so umgehen.

Für die Beschwerdeführer im Volkszählungsurteil, das nun 26 Jahre alt ist, gehörte die PLZ zu den Daten, über die eine Person selbst bestimmen können soll. Vielleicht hätte der Gesetzgeber damals für jedes Datenfeld im Volkszählungsbogen eine geldwerte Prämie anbieten sollen. Die Diskussion um Datenschutz wäre heute eine andere und so manch einer wäre durch Blauäugigkeit vielleicht sogar reich geworden … Einigen ist das ganz bestimmt gelungen. Das sind die, die wissen, dass die Freiwilligkeit der Datenpreisgabe Ausdruck mündigen Handelns ist.