Allerorten begegnet man ihnen: Überwachungskameras. Hätten sie im Fall Brunner einen Mehrwert gebracht? Wohl kaum – allerdings ist es ein lukratives Geschäft, Menschen Angst einzujagen und zum „Schutz“ eine Überwachungskamera feilzubieten. Und was tut der Mensch, dem man eine einfache Lösung bietet? Er stürzt sich mit Freuden darauf …So auch in Berlin,wo zuletzt Kameras wie Unkraut in die Luft schossen. Unsere Bundeshauptstadt nennt Zehntausende Überwachungskameras ihr eigen – oder nein, nicht Berlin nennt sie sein eigen, denn wem die Kameras gehören, weiß mittlerweile offenbar keiner mehr so genau. Und das ausgerechnet in der Spreemetropole, die sich in ihrem Berliner Datenschutzgesetz auf strenge Vorschriften zur Videoüberwachung verpflichtet hat: Abgesehen von Ausnahmen wie hier zugegebenermaßen recht dicht gesäten Regierungsgebäuden darf die Berliner Polizei in öffentlichen Bereichen nicht permanent filmen.
Vor allem spähen die Kameras aber von Banken, Juwelieren und Spielhallen (Erhöhtes Sicherheitsbedürfnis der Inhaber? Verständlich …), von Fritten- und Dönerbuden sowie Einkaufspassagen (Studien zum Ernährungsverhalten oder zur „Beschaffungskriminalität des gemeinen Shopping-Luders“?!). Dass die „Darsteller“ in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht über die Aufnahmen informiert werden, hinterlässt zwar einen schalen Beigeschmack, versteht sich jedoch von selbst. Häufig filmen auch wohlsituierte Bürger zum Schutz ihr mühsam erworbenes Eigentum. Um die Sicherheit der Funkkameras machen sie sich dagegen weniger Gedanken, denn häufig sind die so unzureichend gesichert, dass technikaffine Bastler die Aufnahmen abgreifen können. Vielleicht sollte Google sich Gedanken über Synergieeffekte machen?!
Wenn auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE sowohl der SPD-Innensenator Ehrhart Körting als auch der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix eine Antwort schuldig bleiben, wie viele Kameras mittlerweile in der Stadt in Betrieb sind, gibt das zu denken. Doch wenn nicht einmal mehr klar ist, wie viele Anlagen öffentliche Stellen (BKA, Bahn, Berliner Verkehrsbetriebe, um nur die üblichen Verdächtigen zu nennen) betreiben, ist dies ein Armutszeugnis. Wer soll es denn dann noch wissen?
Und was macht man, wenn ein Problem einen Komplexitätsgrad erreicht, dessen man nicht mehr Herr wird? Man sorgt für noch größere Komplixität: Berliner Bahnen und Busse fahren zwar schon weit über 6000 Kameras spazieren oder bieten ihnen in Bahnstationen ein Zuhause, doch man gedenkt, die Zahl der Anlagen aufzustocken – auf fast das Doppelte. Dabei wird kaum live überwacht, sondern „nur“ aufgezeichnet und alle 24 Stunden überschrieben. Das ist einerseits beruhigend, andererseits karikiert dies den Nutzen bei der Aufklärung von Straftaten: denn dieser Zeitraum reicht der Polizei durchaus nicht immer, die Bilder rechtzeitig zu sichern. Dieses Argument für die Kameras verfängt also nur bedingt. Wie wäre es mit Prävention? Könnte sein, doch wie bei allem, was zum Massenphänomen wird, dürfte die inflationäre Kameraflut kaum noch abschreckende Wirkung auf potentielle Straftäter haben. Dann könnte das Argument doch „Sicherheit“ lauten …
Ja, so soll es wohl zumindest eine Evaluation erweisen, nachdem die erste abgebrochen wurde – unliebsames Ergebnis wird gemunkelt. Mittlerweile hat sich die überwiegende Mehrheit der Kunden an die Kameras gewöhnt und heißt sie gut. Mag sein – denjenigen, die ihre Daten Facebook und Payback überlassen, wird es egal sein, und andere glauben wohl wirklich, dass die Kameras zu ihrer Sicherheit beitrügen. Doch da ist sie wieder – die einfache Lösung: eine Kamera dürfte eine Fahrt in der Bahn kaum sicherer machen. Wem es wirklich um Sicherheit geht, für den wird es unbequemer: der müsste mehr Personal einstellen. So richtig ungemütlich wird es jedoch für die, die Ursachen und nicht Symptome bekämpfen wollen – denn die müssen sich fragen, warum „Zivilcourage“ u. Ä. heutzutage nicht viel mehr als eine schnöde Vokabel ist.