Vor 22 Jahren, oder von ISDN zu WeChat

Tagesschau Jakobs zur D-Info 95Am 16. Juli 1995 tauchte der damalige Bundesbeauftragte für Datenschutz, Joachim Jacob, in der Tagesschau auf. Damals war es eine kleine Sensation, über die berichtet wurde. Erstmals gab es eine digitale Erfassung sämtlicher in Telefonbüchern verzeichneter Telefonnummern. Die Verwirrung war groß, vor allem bei Leuten, die ISDN hatten und bei Anrufen mit Ihrem Namen begrüßt wurden.

Möglich war dies, wenn der Angerufene die D-Info 95 CD im Laufwerk seines PCs hatte, der PC mit der Telefonanlage gekoppelt war und mit der Nummer des Anrufers der aus der CD ersichtliche Name auf dem Computer-Bildschirm sichtbar wurde, bevor das Gespräch angenommen wurde. Die Folge war, dass in der nächsten Version der D-Info, die 1997 erschien, etliche Leute schon nicht mehr im Telefonbuch verzeichnet waren, weil sie zwischenzeitlich verstanden hatten, was eine Inverssuche ist. Diese Rückwärtssuche von Telefonnummern aus den öffentlichen Verzeichnissen geht heute nur noch bei Leuten, die keinen Wert auf Privatsphäre legen, oder nicht verstanden haben, was öffentliche Quellen sind. Eine weitere Besonderheit durch ISDN ergab sich damals für VIPs, die Geheimnummern hatten. Die Telekom machte eigens auf eine vorzunehmende Sperrschaltung aufmerksam, damit die sorgsam gehüteten Nummern von Politikern und Prominenten, die in keinem Telefonbuch standen, nicht am Display des Angerufenen offengelegt wurden.

Wir kennen das heute als Einstellung „anonymer Ruf“, und kaum jemand benutzt das noch, ISDN ist Geschichte, analoge Telefone gibt es nicht mehr und das Entsetzen derer, die sich damals alleine aufgrund ihrer Telefonnummer um ihre Privatsphäre besorgt gezeigt hatten, scheint auch nicht mehr existent zu sein. Niemand nimmt heute im Zweifel noch einen Anruf entgegen, der mit „Anonymer Anrufer“ gekennzeichnet ist und Privatsphäre ist offensichtlich durch soziale Medien, webbasierte Kommunikationsmittel, weiter voranschleichender Digitalisierung und damit einhergehender Gewöhnung an Transparenz nur noch ein Schlagwort, das die Fachleute verstehen. In der Regel sind das jene, die wissen, was mit Technologie heute möglich ist (und auch gemacht wird) und nicht gewillt sind, fremdbestimmt durchs Leben zu gehen.

Was aber, wenn die Grenzen dessen überschritten werden, was wir Freiheit nennen? Was ist das überhaupt, Freiheit? Demokratie? Freie Entscheidung, freier Wille, freier Geist? Oder was versteht die Mehrheit unter Freiheit? Zu entscheiden, welchen Konsumartikel man als nächstes kauft? Wohin man im nächsten Urlaub fährt? Welches Auto man sich kauft, für welche Filme man sich interessiert oder wo man Essen geht?
Das mag alles noch vertretbar sein, weil es um Konsum geht und man selbst entscheiden kann, ob man an diesem Wahnsinn teilnimmt, oder nicht. Es dürfte nicht allzu schwer sein zu verstehen, dass profilierte Werbung inzwischen so gut gemacht ist, dass nur Wenige sich dagegen wehren können. Die Mehrheit findet es überdies bequem sich sagen zu lassen, was sie mag, wofür sie sich interessiert oder was sie kaufen soll. Schließlich ist es auch eine freie Entscheidung, sich zu den Schafen zählen zu wollen.

Was aber, wenn solche Systeme von Staaten genutzt werden, um die Bürger eines Landes im Sinne des politischen Systems zu kontrollieren und zu steuern?
China macht es vor. Ab 2020 wird die chinesische Regierung ein Social Credit System einführen, das auf den Daten aus Social Media und anderen Online Systemen basiert. Damit wird jeder Bürger unter Beobachtung gestellt und hinsichtlich seines Verhaltens bewertet. Big Brother meets Big Data. Das Ranking von 1,3 Milliarden Chinesen wird für jeden einzelnen lebensbestimmend werden. Das Verrückte daran ist, dass die Chinesen ihren Staat selbst mit den dazu notwendigen Daten füttern. Allen voran mit WeChat, einem Pendant zum westlichen WhatsApp und Facebook. Nur, dass WeChat viel mehr kann. Neben Chatfunktionen und einem Internetzugang (in China natürlich zensiert) werden in Restaurants Speisekarten und auch die Rechnung auf dem Display serviert, Taxifahrten, Überweisungen und Chats mit Freunden sind machbar, politische Meinungen und Soialverhalten werden analysiert, WeChat ist sozusagen alles in einem, ja sogar Immobilienkäufe sind möglich. Eine eierlegende Wollmilchsau …und der Staat liest fleißig mit. Wer sich nicht brav verhält oder gegen das kommunistische Manifest verstößt, wird abgewertet.

Jetzt kann man sagen: Ja, in China. Aber nicht in der westlichen Welt.
Weit gefehlt. Die Technik ist im Westen dieselbe und wer bereits Erfahrungen mit Uber hat, wird bestätigen können, dass eine Bewertung eines Kunden durch einen Dienstleister unweigerlich das Verhalten des Kunden verändert. Denn wenn man den Fahrer für seine fehlenden fahrerischen Kenntnisse schlecht bewertet, wird man als Kunde ebenfalls „abgewertet“ und muss wegen des daraus resulierendem Scores länger auf einen Fahrer warten, wenn denn überhaupt noch einer kommt. Also bewertet man den schlechten Fahrer positiv und trägt aus Eigeninteresse mit dazu bei, dass schlechte Dienstleister weiterhin die Straßen unsicher machen. Im Datenschutz heißt das Selbstbestimmung, was in der Volkszählungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts so beschrieben wurde, dass jemand, der die Beobachtung seines Verhalten bemerkt, unweigerlich sein Verhalten verändert. Das ist ein Widerspruch zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Wem das etwas wert ist, sollte darüber nachdenken, wie transparent der Einzelne sich durch die fortschreitende Digitalisierung macht.

Die Alternative heißt die Kontroll- und Stuerungsmechanismen so zu gestalten, dass ein Betroffener es gar nicht bemerkt. So lange, bis es zu spät ist und es für den einzelnen kein Zurück mehr gibt. In der Werbewelt heißt das „digitale Selbstvermessung“.
1995 wurden ein paar Leute nervös, als ihnen klar wurde, dass ihre Telefonnummer nicht mehr geheim sein könnte. Heute würde es bspw. eine Nachricht, dass die Mobilfunknummer eines Bürgermeisters veröffentlicht wurde, noch nicht einmal in die Rubrik „Lokales“ schaffen, da über jeden einzelnen viel mehr persönliche Dinge bekannt sind, als damals. Es wäre sicher interessant, Joachim Jacob hierzu zu interviewen. Ob er seinerzeit schon geahnt hat, wie die Welt sich entwickeln wird? Sicherlich nicht, denn so weit konnte damals keiner sehen. Die technische Entwicklung hat vieles möglich gemacht, was damals undenkbar schien. Aber seine Bedenken hinsichtlich Datenschutz waren dieselben. Nur sind sie nicht wahrgenommen worden.

1 Gedanke zu „Vor 22 Jahren, oder von ISDN zu WeChat“

  1. Herrlicher Artikel, beschreibt er doch eine Zeit, in der sich nicht nur unsere Daten auf den Weg gemacht haben, sondern auch CD-Laufwerke und Internetanschlüsse Einzug in unsere PC gehalten hatten. Eben diese 22 Jahre später sind die Nachfolger der CD schon tot und Internetanschlüsse zwingender Bestandteil unseres Lebens, weil wir alle Daten, Bilder u. Filme online ablegen und von verschiedenen Geräten ortsunabhängig abrufen und streamen. Auf dem heimischen PC zu speichern war gestern. Netzabdeckung und Geschwindigkeit mit Flatrate stehen klar im Vordergrund damit wir WeChat, WhatsApp, fb usw. optimal nutzen können. Was erleben wir in den kommenden 22 Jahren? Was erleben unsere Kinder, die gerade mit „durchgebrandeten“ Tablets unseres online-Shops die Welt entdecken und damit schon verändern?

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