Jeder will beschissen werden

Ich erinnere mich an einen Gast in einer Latenight Talkshow, der seinerzeit mittels Schwefelhexafluorid seine Stimme annähernd auf das Niveau der Hupe des Kreuzfahrers Queen Mary II herabsenkte (naja, nicht ganz und ich weiß, das Ding heißt Horn). Anschließend stellte er sich auf den Kopf, um das Gas in seinen Lungen wieder loszuwerden. Der Mann heißt Ranga Yogeshwar. Und er hat es drauf. Seine Fähigkeit Sachzusammenhänge so darzustellen, dass wirklich jedermann sie verstehen kann, ist bewundernswert. Letzte Woche erschien ein Interview mit ihm in der FAZ. Unter dem Titel „Rechnen Sie damit, lebenslang ein Verdächtiger zu sein“ stellt er seine Sicht der Dinge zum Thema Überwachung und Selbstbestimmung von Daten dar.

Der Artikel ist äußerst lesenswert und beantwortet vielleicht auch die Frage, warum in den letzten Wochen die Beiträge in diesem Blog, der ja Datenschutz als eines der Oberthemen trägt, überwiegend das Schlagwort „Überwachungsstaat“ behandeln.
Beim Lesen des Artikels fiel mir ein, dass Yogeshwar schon vor ein paar Jahren einen Beitrag in der TAZ veröffenticht hat, in dem er seine persönlichen Eindrücke von den Geschehnissen rund um eine Innenministerkonferenz in Hamburg geschildert hatte. Zur gleichen Zeit berichtete die Presse von einem verdächtigen Gepäckstück in Namibia, dass von Windhuk nach Deutschland geschickt werden sollte. Yogeshwar kommentierte das wie folgt: „Wenn Sicherheitsbehörden angebliche Bomben finden oder von einem erhöhten Risiko sprechen und dieselben Sicherheitsbehörden von uns Bürgern mehr Geld verlangen, dann ist das absurd. Das grenzt an einfache Selbstbedienung. Niemand von uns Bürgern kann kontrollieren, ob das alles stimmt. […] Ich lese in der Zeitung vom Koffer. Beim Durchleuchten seien Batterien gefunden worden, die über Kabel mit einem Zünder und einer laufenden Uhr verbunden waren. Herr de Maizière liest dieselbe Zeitung, und ich frage mich, ob er das alles schon vorher wusste.“

Damals schon hat Yogeshwar die Zeichen der Zeit erkannt und auf einer emotionalen Ebene seinen Unmut über die Polizeiaktivitäten in Deutschland formuliert. Er wurde dafür – sicherlich unter vorgehaltener Hand, weil man jemanden wie Yogeshwar eben nicht öffentlich angreift – als Paranoiker und Verschwörungstheoretiker bezeichnet, wie all die anderen, die damals vor den Veränderungen in der Gesellschaft gewarnt haben. Und die TAZ ist ja auch ein Blatt der linken Fraktion, weshalb man das nicht allzu ernst nehmen musste. Nunmehr finden wir eine Konkretisierung der Thematik in der FAZ.
Auf eine Formulierung in diesem Interview möchte ich etwas näher eingehen: „Bislang wurden Menschen nach ihrem Handeln bewertet, doch in Zukunft wird die Vorhersage die Oberhand gewinnen.“ Im Sinne der NSA heißt dies, dass aus Bewegungsprofilen, Interessen, Freundeskreis und u.a. all den zweifelhaft schönen Dingen, die man freiwillig über sich selbst im Internet oder auf Facebook bekannt gibt, ein Muster und eine Kategorisierung erstellt wird. Potenzieller Straftäter, Terrorist, Menschenrechtsaktivist, Feind des Staates, Oppositioneller…

Schön, werden Sie jetzt sagen, betrifft mich alles nicht. Aber was, wenn Sie sich vergegenwärtigen, dass die Privatwirtschaft das auch macht? Kundenbindungssysteme, Banken, Versicherungen, Datenhändler im Allgemeinen und viele andere arbeiten nach den gleichen Mustern, mit denen die Schlapphüte ihren Job machen. Die Vorhersage des Verhaltens eines Kunden wird zum Geschäftsmodell. Sie erinnern sich vielleicht an die Hamburger Sparkasse und die für die Betreiber unglücklicherweise bekannt gewordene Kategorisierung der Kunden: Abenteurer, Bewahrer, Hedonist … Kunden im Fokus der Verhaltensforscher. Und es gab sogar speziell auf diese Kategorien abgestimmte Gesprächsleitfäden für die Angestellten, mit denen man die betreffenden Kunden zum Abschluss von Versicherungen, Investments und dergleichen überreden… ähh, sorry, beraten konnte. Der Aufschrei in der Öffentlichkeit dazu war nicht zu überhören. Die Rede war von Psychotricks und Manipulation der Verbraucher. Also eine üble Machenschaft, die der HASPA damals unterstellt wurde. Niemand hat aber gefragt, wo die Daten herkamen, mit denen diese Kategorisierung vorgenommen wurde. Ist das zu komplex? Nicht darstellbar? Denken Sie mal über Ihre Kontobewegungen nach …
Die HASPA hatte sich seinerzeit zügig entschuldigt, und sich mit Sicherheit auf die Suche nach dem Insider gemacht, der die ganze Nummer dem NDR zugespielt hat. Heute nennt man solche Leute Whistleblower. Die Öffentlichkeit hat aber dem Thema Datenschutz zu der Zeit – vor-Snowden – noch nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die so einem Thema heute zukommen würde.

Damals konnte man zurückkehren zum business-as-usual. Aber betrachten wir die Angelegenheit etwas näher. Zunächst möchte ich die HASPA nicht in Schutz nehmen, aber jeder, der an den Bonusprogrammen der Sparkasse teilnimmt, liefert der HASPA u.U. eine datenschutzrechtliche Grundlage für so ein Verfahren, wenn man nicht das Kleingedruckte im Vertrag – bei der HASPA heißt das Jokerprogramm – liest. Im geringsten Fall führt dies zu Anrufen des Kundenbetreuers, in dem auf die jüngsten Angebote der Sparkasse hingewiesen wird. Na? Klingelt da eine Glocke?
Wenn „etwas schief geht“ in dieser Konstellation, wird die Diskussion nicht zum Thema Datenschutz geführt, sondern zur Frage der Manipulation der Kunden und dann kommt es zu Begriffen wie „Psychotricks“. Über Datenschutz und die gegensätzlichen Positionen, geschweige denn die Frage der rechtmäßigen Datenverarbeitung redet dann niemand mehr, außer vielleicht dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten, der von alledem nichts gewusst hat … . Und all die anderen, die ebenfalls Verträge mit Datenschutzklauseln verwenden, geben sich noch mehr Mühe Rechtssicherheit mit ihren Verträgen zu schaffen.
Rechtssicherheit hier heißt, dass der Kunde im Zweifel mit seiner Einverständniserklärung selbst die Voraussetzungen geschaffen hat, dass ein Systembetreiber wie z.B. Payback Daten zu Zwecken nutzt, von denen der Nutzer einer Payback-Karte nicht die geringste Vorstellung hat. Und wie das von den Gerichten verstanden wird, lässt sich auch in diesem Blog recherchieren.

Einer der Leserkommentare zum benannten FAZ – Artikel lautet: „die Vorhersage des Modells wird Grundlage des Handelns.“ ist das nicht o.k?
Wir reden hier nicht über die Leser der „Überparteilichen“, von denen ich niemals behaupten würde, dass sie sich nicht der Situation bewusst sind, wenn sie an der Tankstellenkasse nach Ihrer Payback – Karte gefragt werden. Von einem FAZ-Leser, der fragt, „Ist das nicht ok so?“ würde ich aber kritischere Stimmen erwarten, wenn wir über die praktischen Aspekte der Vorhersehbarkeit diskutieren.

Was mich in diesem Zusammenhang z.B. wundert, ist, dass meines Wissens nach noch niemand die Frage öffentlich diskutiert hat, welcher Zusammenhang zwischen Payback und den Benzinpreiserhöhungen in der Reisezeit besteht. Die Betreiber von Payback wissen ganz genau, wann, wer, mit welchem Ziel, mit wie vielen Personen und welchen Verzehrgewohnheiten in der Reisezeit auf der Autobahn unterwegs ist. Dafür bekommen die Nutzer der Karte ja auch schicke Punkte und Rabatte, womit ihnen die Nutzung des Systems schmackhaft gemacht wird. Wie war das? „Ist das nicht ok so?“

Jemand, der Kritik an Verhaltensvorhersagen übt, sollte dies m. E. insbesondere im Sinne der eigenen Betroffenheit auch mit den Machenschaften tun, die nicht in der Zeitung stehen. Den meisten Menschen sind Informationen dieser Art nicht bewusst oder nicht zugänglich. Und diese Menschen werden mit Glasperlen geblendet.
Ich rede hier z.B. von den Payback-Daten, die den Mineralölgesellschaften die Möglichkeit geben, die Kosten für den Betrieb des Payback – Systems wieder zu erwirtschaften, … und darüber hinaus. Denn, liebe Kinder, wenn man im Voraus weiß, wer wann wo tankt, ist es ganz einfach, den Profit zu optimieren. Und die Tankstellenbetreiber wissen auch, wann sie wie viel von Ex-Kanzlers Lieblingsgericht bereit stellen müssen. Currywurst. Und dazu ’ne Pommes Schranke. Mahlzeit.

Nur eines von vielen Beispielen, bei der die Vorhersage des Modells Grundlage des Handelns wird. Wer jetzt immer noch glaubt, mit den Payback-Rabattpunkten zu den Gewinnern zu gehören, der darf sich erst recht zu denen zählen, die beschissen werden.

Aber das hat am Ende ja jeder selbst in der Hand, noch…